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Eine Rose ist keine Rose ist keine Rose
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Besondere Qualität in der Malerei wird von Menschen sicherlich unterschiedlich beurteilt.
Ein starkes Indiz dafür ist jedoch, wenn die Betrachtung eines Kunstwerkes dazu führt, dass Geist und Emotionen gleichermaßen angeregt werden. Ein gutes Bild macht uns neugierig und reizt zum Hinterfragen und Erkunden. Es ruft etwas hervor, das nicht mit Worten allein beschrieben oder mit dem Verstand erdacht werden kann. Zur selben Zeit löst es – häufig widersprüchliche – Emotionen aus.
Einzelne, stark konzentrierte Tropfen oder lasierende Verwischungen. Pinselstriche, die im Nichts oder auch außerhalb des Bildgrundes enden. Organische Formen, die in Wirklichkeit abstrakte Bildelemente sind. Eine Reichhaltigkeit gleich dem Prinzip der Natur selbst trifft in einem Werk auf strenge Reduktion in der Gesamtkomposition. Lockere, malerische Geste teilt sich den Bildgrund mit präzisen Setzungen. Schwerkraft und Schwerelosigkeit liefern sich ein Tauziehen innerhalb der Komposition, bei dem niemand die Oberhand gewinnt. Man könnte diese nur scheinbaren Widersprüche fortsetzen, doch das Prinzip wird auch so klar: Der Prozesscharakter ihrer Arbeiten ist wichtig für Beatrice Richter; die künstlerische Herausforderung ist es, diesen im Bild zu konservieren ohne ihn gleichzeitig zu zerstören.
Diese Spannung spüren auch wir als BetrachterIn. Automatisch versuchen wir, in den faktisch abstrakten Elementen unserer Wahrnehmung vertraute Objekte auszumachen: Schmetterlinge, Blumen, Gräser, Meerestiere – um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Da diese Festlegung der Formen auf ein konkretes Ding jedoch nicht gelingen kann, hat die Auseinandersetzung mit den Arbeiten Richters etwas Ungelöstes – Betrachter und Werk bleiben somit quasi dauernd im Zwiegespräch.
Um die Liste der Widersprüchlichkeiten noch zu verlängern, sollte man erwähnen, dass Beatrice Richter als Meisterschülerin einer Malerei-Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie abgeschlossen hat, jedoch Papier in ihrem Œuvre eine herausragende Rolle spielt. Vor allem bei ihren früheren Werken war Tusche auf Papier das bevorzugte Medium. Darüber hinaus ist der für diesen Katalog gewählte Titel helianthus, was nicht nur der botanische Begriff für Sonnenblume ist, sondern auch der Name des Pigments, das von der Künstlerin konstant über die Jahre verwendet wurde, eine Hommage an die Arbeit auf Papier. Dennoch sind die Werke Richters vom Duktus her eindeutig malerisch.
Wie entstehen nun also diese gleichzeitig enigmatischen, überzeitlichen und ästhetischen Werke? Die Künstlerin geht offen mit ihrem Schaffensprozess um. Der Boden im Atelier ist voller Papier. Genauer: voller einzelner, ausgeschnittener Pinselstriche und in Tusche getränkten Papierfetzen. Während teilweise der Strich direkt gesetzt wird, kommt die Malerei im Rahmen vieler Serien von Richter auch über Umwege auf den Malgrund (wie zum Beispiel bei Tableau & Mortalitas). Durch Collagenpartien und auch Malmaterialien wie z.B. Firnis und Schellacktusche erhalten die Werke ohne konstruierte Räumlichkeit eine überraschende Tiefenwirkung. Der Schaffensprozess ist eine Mischung aus Kontrolle und Kontrollverlust. Beatrice Richter greift ein, gleichzeitig bedient sie sich aber auch bewusst Vorgehensweisen, die zu viel Planung unmöglich machen. So finden sich in ihren jüngeren Werken immer wieder Elemente, welche durch das Verfahren des Abklatsches gestaltet sind. Überschüssige Tusche (verdickt mit Binder) auf Papier wird hierbei mit einem anderen Stück Papier während des Trocknungsprozesses wieder abgenommen. Quasi ein Rorschachtest ohne Symmetrien. Es gibt hier nur einen Versuch, wenn er scheitert, wandert das Papier in den Fundus für zukünftige Collagen, denn Verschwendung von Ressourcen findet bei Richter nicht statt. Durch Pinselstriche mit stark verdünnter Farbe – was ebenfalls Kontrollverlust zulässt – und Verstärkung einzelner Formen mit Graphit und Bleistift wird das Werk weiterbearbeitet. Auch in den jüngsten Bildern auf Leinwand wird ganz gezielt und nur sehr partiell diese Technik des Abklatsches, der Farbverlauf sowie die Zeichnung mit Graphit und Bleistift eingesetzt. Ganz direkt auf den Bildgrund und ohne die Möglichkeit von Korrekturen.
Spielt die Künstlerin mit uns? Die Frage könnte man sich durchaus stellen, denn ihre Titel imitieren naturkundliche Klassifizierungen; die (als Trompe-l’oeil gemalten) ovalen Rahmen gaukeln uns Historie vor, und auch die Kompositionen erinnern uns an Stillleben vergangener Jahrhunderte. Richter geht es nicht um ein Spiel, sondern vielmehr um einen Erkenntnisgewinn in Hinblick auf die Zuverlässigkeit der eigenen Wahrnehmung. Kunst hat immer das Potential dazu. Ob die Bereitschaft dazu vorhanden ist, liegt nur am Menschen selbst.

1Rose is a rose is a rose is a rose“ ist eines der berühmtesten Zitate von Gertrude Stein. Teil des 1913 entstandenen Gedichts „Sacred Emily“. Interpretiert wird der Satz häufig als “Dinge sind, was sie sind”

Julia Ritterskamp in: Beatrice Richter – Helianthus, Verlag Kettler, 2023

Herbarium Teil II

Foto © DEW21
Ausstellungsansicht „DEW21 Kunstpreis 2018„, Herbarium (II) #07 & Herbarium (II) #05 (v.l.n.r.)“



Die 1989 in Recklinghausen geborene Künstlerin Beatrice Richter beendete 2018 ihr Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin von Prof. Herbert Brandl. Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Das in der 73. Internationalen Bergischen Kunstausstellung gezeigte Herbarium II ist die zweite Serie aus dem gleichnamigen Zyklus der Künstlerin.
Kleinste organische Teilchen, wie etwa Samen, Sporen oder Pollen, flimmern jede Sekunde in der Luft, losgelöst von ihrem Ursprung auf der Reise zu ihrer Umwandlung. Gerade im Vorbeifliegen, in jenem Augenblick, als die Schwerkraft noch nicht einzusetzen scheint, bleiben sie ganz im Moment ihrer eingefrorenen Potenzialität stehen. Im Herbarium II löst Beatrice Richter die Figurativität des Organischen stärker auf als in anderen Werken und erreicht im Entwerfen mit Tusche und Graphit eine beinahe atmosphärisch-duftende Wirkung mit einem klaren Ausdruck.
Ein zartes Passepartout und ein Holzrahmen fokussieren das Bildfeld auf einen ausgewählten Abschnitt und inszenieren dabei den eingefroren Bildmoment als einen, der eingefangen ist. Nun entsteht eine Doppelung, die sich in der Malerei aufhebt: statt das Bildgeschehen zu erstarren, legt sie beim nahen Betrachten ein warmes Wirbeln organischer Formationen frei.
Bemerkenswert ist, dass die Künstlerin das Passepartout mit ovalem Ausschnitt nicht etwa wie üblich von oben aufsetzt, sondern von hinten auf das Glas mit Farbe aufträgt. Dieses szenische Umkehren entspringt ihrer intuitiven Geste und lässt den Betrachter über den eingefangenen Bildmoment imaginieren.
Die Zeitlichkeit einer Pflanze, die bei einem Herbarium nostalgisch-dokumentierend konserviert wird, bleibt hier undefiniert und trägt eher einen prozessualen Charakter. Die vielfältigen rätselhaften Formen von Herbarium II entfalten sich jedoch erst endgültig in unserer Imagination, und so wird ihre Sinnlichkeit zu einem Standbild in unserer Erinnerung fixiert.“

Anna Pomyalova, Kuratorin

BEATRICE RICHTER : MORTALITAS

Foto © Kathrin Edwards
Ausstellungsansicht kunstpreis junger westen 2019 – Malerei, Kunsthalle Recklinghausen, 2019

„Oberflächlich betrachtet könnte man die Arbeiten von Beatrice Richter für botanische Studien oder altmeisterliche Vanitas-Stillleben halten. Und das hat durchaus eine partielle Berechtigung, denn die historischen Vorbilder schwingen mit im Werk der 1989 in Recklinghausen geborenen Künstlerin – nicht zuletzt im Ausstellungstitel Mortalitas. Jedoch würde eine Eingrenzung lediglich auf diesen Aspekt einer Einordnung dem Gesamten nicht gerecht: Es geht ebenso um Zeit, Irritation und um das Hinterfragen der eigenen Wahrnehmung.
In jedem einzelnen Werk unternimmt die Künstlerin den Versuch, den Prozesscharakter ihrer Arbeit zu konservieren – was ja eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Darüber hinaus zielt sie darauf, genau den schmalen Grat zwischen den Kategorien „Figurativ“ und „Abstrakt“ einzufangen und so die botanisch-zoologisch anmutenden Gebilde in einem Moment zwischen Schwerkraft und Schwerelosigkeit ins Bild zu bannen.

Der Betrachter kommt als externe Kraft dazu, indem er automatisch versucht, in den abstrakten Gebilden konkrete, seiner Wahrnehmung bekannte Objekte zu entschlüsseln: Schmetterlinge, Blumen, Gräser, Meerestiere – um nur einige Möglichkeiten zu nennen.
Da diese Festlegung der Formen auf ein konkretes Ding nicht gelingen kann, hat die Auseinandersetzung mit den Arbeiten Richters etwas Ungelöstes, Irritierendes – Betrachter und Werk bleiben somit quasi dauernd im Gespräch.
Mit Collagenpartien und Malmaterialien gewinnen die Arbeiten auf Papier und Holz eine überraschende Tiefe und Schichtwirkung. Die biomorphen Formen bauen sich auf zu einer Art von Kulisse in deren Räumlichkeit man sich bei eingehendem Studium geradezu verlieren kann.
Inzwischen ein Markenzeichen Beatrice Richters sind die in Trompe-l’œil Manier hinter Glas gemalten Passepartouts als Teil der (Künstler-)rahmen zu den großformatigen Blättern der „Herbarium“-Serie. Wiederum eine Überraschung und Irritation in der Blickführung des Betrachters.
Mortalitas, also Sterblichkeit, Sterben, Vergänglichkeit – dies wenigstens ist uns ganz sicher bei allen Unwägbarkeiten. Doch davor kommt – ebenso sicher – das Leben. In seiner ganzen Fülle. Und dazu gehört auch: Die Kunst und der Genuss.“

Julia Ritterskamp, Kuratorin


ENTFALTUNG IM UNERFORSCHTEN

Foto © Thomas Richter
Ausstellungsansicht Rundgang, Kunstakademie Düsseldorf (Abschlusspräsentation)
Arecoideae #10, 2017

„Unbekannte Welten, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat: So könnte sich der Betrachter beim Erfassen der Werke von Beatrice Richter fühlen. Sie führen in einen irrealen Raum, der ebenso geheimnisvoll wie vertraut erscheint.
Von einem entfernten Standpunkt aus blickt der Betrachter durch ein schwarzes Tondo auf organische Formen und emergente Verwachsungen in einer anderen, unberührten naturähnlichen Umgebung, die sich auf dem Papier entwickelt.
Es ist jedoch eine Welt, in die man nicht hineinkommt.
Sie bleibt unnahbar wie ein abgeschlossenes Biotop und zugleich löst sie den Wunsch aus, sie zu erforschen: Vegetative und lebendige Strukturen wachsen auf einem Grund in eine Schwerelosigkeit hinein, in der sich manche Partikel absetzen und in den Raum entfliehen. Im ersten Moment erinnern die Gebilde an Lebensformen aus der Unterwasserwelt, an Strukturen weit entfernter Planeten oder Mikroorganismen in einer Petrischale, die man durch ein Bullauge, ein Fernrohr oder unter dem Mikroskop entdeckt. (…) Voller Bewegung und Dynamik scheinen die Farbfelder mit den filigranen Zeichnungen auf dem Papier zu schweben. Fast wie bei einem Rohrschach-Test, ein sogenannter Tintenklecks, versucht der Betrachter organische Strukturen und Lebewesen in diesen zu erfassen. (…)
Die Farbigkeit der Werke unterstreicht ebenso den Eindruck der Natürlichkeit: Richter verwendet hauptsächlich gedeckte Erdtöne, bricht diese Palette des öfteren mit der Verwendung eines leuchtenden Orange auf, das den Werken ein besonderes Strahlen verleiht.“

Jill Praus, Kuratorin